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Dr. Emmi Pikler wurde 1902 in Wien geboren. Sie war Kinderärztin und als solche von 1936 -1946 als Familienärztin in Budapest tätig. „Emmi Pikler beschränkte sich in ihrer Arbeit als Kinderärztin nicht darauf, kranke Kinder zu behandeln, und in der Vorsorge nicht darauf, vorgeschriebene Routineuntersuchungen und Impfungen durchzuführen. Ihr Schwerpunkt lag auf Prophylaxe im weitesten Sinne des Wortes.“ (aus Anna Czimmek: „Emmi Pikler - eine ungewöhnliche Kinderärztin")

1946 gründete sie das Pikler-Institut, zunächst ein Heim für Kriegswaisen, das sie bis 1979 leitete. In Folge wurde es von Judith Falk und wiederum in Folge von ihrer Tochter, der Kinderpsychologin Anna Tardos, weitergeführt.


Sie bezog die Grundlagen ihrer Erkenntnisse aus ihrer außergewöhnlich tiefgehenden Beobachtungsfähigkeit. Sie beobachtete die Kinder und schuf darauf aufbauend Bedingungen für sie, die eine Entfaltung der ihr anvertrauten Kinder auch unter den schwierigen Bedingungen der Elternlosigkeit ermöglichte:
„Beobachte! Lerne dein Kind kennen! Wenn du wirklich bemerkst, was es nötig hat, wenn du fühlst, was es tatsächlich kränkt, was es braucht, dann wirst du es auch richtig behandeln, wirst du es richtig lenken, erziehen.“ (aus: „Emmi Pikler, Friedliche Babys - zufriedene Mütter“)
In dieser Weise leitete sie auch die Familien an und beeinflusste nachhaltig das Bild vom Kind, das heute von der Hirnforschung bestätigt wird.
 

Jahrzehnte bevor das Wort Kompetenz im pädagogischen Bereich gebräuchlich wurde, sah Emmi Pikler im Säugling eine Person die kompetent ist, eigene Initiative zeigt und über ausgeprägte soziale Fähigkeiten verfügt.
Sie betont in ihren wissenschaftlichen Studien, dass die Fähigkeit des Lernens im ersten Lebensjahr des Kindes im Wesentlichen auf der Bewegungs- und Spielentwicklung beruht und eine Grundlage für seine gesamte Persönlichkeit bildet. „Im Lauf seiner Bewegungsentwicklung lernt der Säugling nicht nur sich auf den Bauch drehen, nicht nur das Rollen, Kriechen, Sitzen, Stehen, oder Gehen, sondern er lernt auch das Lernen. Er lernt sich selbstständig mit etwas zu beschäftigen, an etwas Interesse zu finden, zu probieren, zu experimentieren. Er lernt Schwierigkeiten zu überwinden. Er lernt die Freude und die Zufriedenheit kennen, die der Erfolg- das Resultat seiner geduldigen, selbstständigen Ausdauer - für ihn bedeutet.“ (Pikler, 1982, S.35)


Auch Emmi Pikler beschrieb immer wieder die Beziehung zum Erwachsenen als Basis für das Kind. Nur auf Grundlage einer sicheren, Geborgenheit und Verständnis vermittelnden Beziehung kann das Kind spielen und sich entfalten.
In ihrem Buch für Eltern:  „Friedliche Babys, zufriedene Eltern“ schreibt sie: „Die Liebe, die Sorgfalt muss das Kind umgeben wie ein angenehmes, gleichmäßiges, warmes Bad. Das Kind soll…..ständig fühlen, dass wir es lieben, dass es sich in Sicherheit befindet, dass wir auf es achtgeben, damit ihm nichts Schlimmes zustößt. Spürt es das nicht, wird es sich nicht gut entwickeln.“
Durch echtes Interesse und Feinfühligkeit im Zusammensein, besonders in Pflegesituationen, nähren wir die Kinder und auch uns selbst.


"Die Pflege des Säuglings, mit ihren sich wiederholenden Handlungen, erschien ihr (Emmi Pikler) zur Ausbildung einer tragfähigen Beziehung zwischen Eltern und Kind geeigneter als das gemeinsame Spiel. Bei der täglich mehrmals notwendigen Pflege lernt das Kind zudem etwas, was es nur vom Erwachsenen lernen kann, denn für ein freundliches und rücksichtsvolles Verhalten braucht es ein Vorbild. Sich zu bewegen und zu spielen hingegen lernen Säuglinge und Kleinkinder auch ohne unsere unmittelbare Hilfe und Anregung." (Ute Strub)



Weniger bekannt sind die Forschungen zu Sozialem Lernen und Miteinander. Emmi Pikler und ihre Mitarbeiterinnen betonten und erforschten die Bedeutung einer klaren Führung, gepaart mit Geduld und dem Verständnis für die Kinder, die sich kooperativ und mit Interesse in ihre soziale Umwelt einfügen.


Eine der wichtigsten Grundhaltungen ist, dem Kind von Anfang an zu ermöglichen, zu wollen, zu wählen, zu entscheiden. Es liegt in seinem Ermessen, zu entscheiden, ob seine Muskeln schon stark genug sind, um sich aufzurichten, es ist ihm überlassen, zu wählen, womit und wie es spielen will. Es ist das Kind, das entscheiden darf, was es essen will und wieviel oder ob es bereit ist, den Schoß der Betreuerin zu verlassen, um seine Mahlzeiten im Essbänkchen einzunehmen. …
In der Folge ergeben sich kaum Konflikte in der Art, wie sie herkömmlicherweise als charakteristisch für dieses Alter angesehen werden, das Trotzalter. Unserer Meinung nach stellt sich die Trotzphase nur dann ein, wenn das Kind dem Erwachsenen immer „trotzen“ muss, um seinen Willen, sein „Ich“ geltend machen zu können. Die Auseinandersetzungen, die gerade wegen den Mahlzeiten und dem Sauberwerden in vielen Familien zutage treten, wo das Kind sein “Ich“ verteidigen muss, indem es sich dem Willen des Erwachsenen widersetzt, sind vermeidbar.
Um sein „Ich“ gut zu entwickeln, braucht das Kind keine solche Opposition, es will nur seine Abhängigkeit lockern und sein „Ich“ geltend machen. Wir unterstützen die Entfaltung des kindlichen „Ich“, indem wir ihm einen Freiraum geben und gleichzeitig ganz genau die Grenzen stecken, die nicht überschritten werden dürfen. Das Kind lernt im Austesten dieser Regeln und Grenzen sein “Ich“, seinen Willen und seine Möglichkeiten kennen, ohne systematisch Widerstand zu leisten.“ (Judith Falk)

                                                                                 
Das Pikler-Institut bewahrt die wissenschaftliche Forschungsarbeit von Emmi Pikler und ihren Mitarbeiterinnen sowie ihren Nachfolgerinnen und entwickelt sie weiter. Das Heim ist seit 2010 geschlossen, die Arbeit geht in Form von Krippengruppen, SpielRaumgruppen und Fortbildung weiter. Die Ausbildung zur Pikler®-Pädagogin wird europaweit angeboten. In diesem Rahmen sind jeweils auch Seminare in Budapest integriert.